Ma, Ba, Wa: Drei Blickwinkel auf den Raum dazwischen

Raum: Möglichkeiten und Wahrnehmung

Der Raum zwischen dem Ende des alten Jahres und dem Anfang des neuen ist nicht nur in der Natur eine Zeit der Ruhe. Der Weihnachtsstress ist vorbei, das neue Jahr hat noch nicht so richtig angefangen, die letzte Weihnachtsdekoration hängt über matschig grauem Schnee, im Portemonnaie oder bei den Aufträgen zeigt sich das «Januarloch». Obwohl im Kalender natürlich kein Zwischenraum erkennbar ist, fühlt so mancher eine gewisse Leere, bis das neue Jahr so richtig in Gang gekommen ist – noch verstärkt durch die jetzige Pandemie-Situation. Wozu ums Himmel Willen könnte das gut sein?

In einem früheren Beitrag habe ich darüber reflektiert, wie wichtig Rituale oder ein zyklischer Kreislauf auch im Berufsleben sind, um Einordnung und Stabilität zu ermöglichen. Der «Zwischenraum» und die erzwungene Ruhe mag sich langweilig und öde anfühlen. Dennoch ist eigentlich klar: Diese Ruhe braucht es oft, damit das Neue erst entstehen kann. In diesem Zusammenhang bin ich kürzlich auf drei japanische Konzepte von Raum gestossen, die ich sehr inspirierend fand: ma, ba und wa.

Ma!

Der oben beschriebene Zwischenraum zwischen den Jahren entspricht wohl am ehesten dem japanischen ma. Ma ist ein Raum für Reflexion und für die Integration von Differenzen, wo Zeit ist, um anzukommen und sich auf Neues einzustellen. Wenn alles nur gefüllt ist, kann nichts neues entstehen. Das gilt für die volle Festplatte genauso wie für die volle Agenda. Warum also nicht mit einem Jahresputz beginnen und erst einmal Räume schaffen?

Raum schaffen mit Ma

  1. Schaffen Sie am Anfang der Woche Platz – und wenn es nur eine halbe Stunde ist – in dem Sie darüber reflektieren können, was in dieser Woche wirklich wichtig wird.
  2. Schaffen Sie am Ende der Woche Platz für Ihre persönliche Retrospektive: Was ist mir gut gelungen? Was würde ich nächstes Mal anders machen? Was würde ich gerne einmal ausprobieren?
  3. Gibt es in Ihrem Team/Ihrer Firma Freiräume, welche den Ideen und den Innovationen gehören? Auch dann, wenn alles im Home Office stattfindet? Lassen Sie los, deklarieren Sie zwei Wochenstunden als Lernraum – und lassen Sie sich überraschen. Damit sind wir womöglich auch schon beim ba angekommen…

Ba!

ba ist ein Raum, der abseits der ausgetretenen Pfade neue Verbindungen zwischen bestehendem Knowhow schaffen kann. Somit wird das individuelle und kollektive Wissen erweitert, es entsteht Innovation. Das Konzept eines Grossraumbüros, in dem ein interdisziplinäres Scrum-Team zusammensitzt, entspricht dieser Idee. Tatsächlich scheint das «ba»-Konzept über den japanischen Philosophen Kitaro Nishida und den Management-Theoretiker Ikujiro Nonaka in die Entwicklung von Scrum eingeflossen zu sein – letzterer hat im Harvard-Business-Review Artikel «The New New Product Development Game» 1986 zum ersten Mal das Wort «Scrum» für die agile Entwicklungsmethode verwendet.

Den Ba-Raum gestalten

  1. Welche Gefässe und Räume gibt es in Ihrer Abteilung oder Firma, um Ideen zwischen den Disziplinen auszutauschen? Sind diese auch jetzt im virtuellen Raum noch vorhanden? Welche verrückten Verbindungen in Ihrer Firma könnte man neu anregen?
  2. Wenn es Gefässe für die Weiterbildung von Mitarbeitern gibt: Gibt es Möglichkeiten, bei diesen Weiterbildungen die ausgetretenen Pfade zu verlassen? Haben Sie den Mut, Weiterbildung «ausserhalb des Üblichen» nicht nur zu zu lassen, sondern zu fördern.
  3. Welchen Podcasts, welchen Newsseiten folgen Sie? Testen Sie einmal jeden Monat einen Podcast, der nicht zu Ihrer beruflichen Erfahrung oder zu Ihren Hobbies passt. (Ich zum Beispiel beschäftige mich normalerweise nicht mit japanischer Philosophie…)

Wa!

wa beschreibt den Raum, der bestimmte Art von Beziehungen ermöglicht. Dieser Blickwinkel auf den Raum und die Energie zwischen Menschen hat zum Beispiel Auswirkungen darauf, wie wir unsere Büroräume gestalten. Wenn wir vor allem den privaten Austausch fördern möchten, sehen unsere Büroräume nicht gleich aus wie wenn wir unsere Mitarbeiter auf Effizienz und die Aufgabe fokussieren möchten. Wenn wir das Networking an einer Konferenz fördern wollen, gestalten wir diese anders, als wenn es vorwiegend um die Vermittlung von Inhalten gehen soll. Auch in Meetings wirken Bestuhlung und der Raum darauf, was und wie kommuniziert wird (siehe auch die Anregungen hier). Das gleiche gilt auch für virtuelle Räume.

Den Wa-Raum gestalten

  1. Wie muss ein virtuelles Meeting aussehen, das vor allem dem persönlichen Austausch dient? Halten Sie es kurz, gestalten Sie einen kurzen, aktivierenden Eisbrecher, überlassen Sie die Leute nicht einfach sich selber. Das kann physisch funktionieren. Im virtuellen Raum reicht dies meist nicht, da nur immer eine Person gleichzeitig reden kann und wenig Intimität da ist, wenn immer alle zuhören.
  2. Networking an Konferenzen oder Schulungen (siehe auch hier): Zoom bietet seit kurzem die Funktion an, dass TeilnehmerInnen selbständig zwischen Breakout-Räumen wechseln können. Warum also nicht über Mittag oder in den Pausen Breakout-Räume namens «Raucherbalkon», «Kaffeemaschine», «Toilette», «Lounge» anbieten, in denen sich die Teilnehmer unorganisiert treffen können (oder auch nicht)? Je mehr Räume sie anbieten, umso mehr können sich kleine Gruppen bilden, in denen man dann auch wirklich miteinander spricht.
  3. Wie muss ein virtuelles Meeting im Arbeitskontext aussehen? Die Tipps für physische Meetings gelten auch für virtuelle Meetings (klare Agenda, Kommunikation des erwarteten Resultats, klare Zeitvorgabe, Moderationsrolle). Liberating Structures bietet viele Ideen, wie Teilnehmer interaktiv in Sitzungen eingebunden werden können (was dann gleichzeitig auch das ba verbessert).