Noch immer ist «Agile Transformation» ein Thema, auf das ich als Organisationsberaterin angesprochen werde. Agilität hat mittlerweile schon ein paar Jährchen auf dem Buckel (wenn man das Agile Manifesto als Ausgangspunkt nimmt, sind es mindestens schon zwanzig). Und doch hat das Konzept für viele eher noch an Anziehungskraft gewonnen.
Das Management von Firmen stellt sich darunter Arbeitsformen vor, welche die Produktivität steigern und zusätzlich die Mitarbeitenden optimal motivieren. Agile Arbeitsformen sollen für eine «moderne Unternehmenskultur» sorgen, welche auch im Fachkräftemangel noch Mitarbeitende anziehen und halten kann. Und die Mitarbeitenden?
Die Mitarbeitenden stellen sich unter «Agilität» mehr Freiheit und Flexibilität vor. Die Führung auf Augenhöhe, weniger Bürokratie, mehr Effizienz – genau, eine «moderne Unternehmenskultur». Die Arbeit soll (wieder) mehr Freude machen!
Also alles super? Das deckt sich ja alles zum grossen Teil. Wenn also von den Mitarbeitenden der Wunsch kommt, Agilität einzuführen, hat im Management häufig niemand etwas dagegen: «Macht mal, tönt spannend – die Leistung muss einfach stimmen!»
Agile Transformation von unten!
Ein Freipass! Voller Elan machen sich die Mitarbeitenden an die Veränderung, vielleicht auch mit Hilfe von externen Coaches: Man organisiert eine Scrum-Schulung, bestimmt Rollen wie «Scrum-Master» und «Product Owner». Man ändert die Meetings – das Status-Meeting wird zum «Sprint-Review», das wöchentliche Team-Meeting in «Daily Standups» aufgeteilt etcetera. Natürlich kommen hier die ersten Schwierigkeiten: Was machen wir mit der Teamleiterin? Product Owner oder Scrum Master? Der Kunde will nicht an den monatlichen Reviews teilnehmen – geht das? Wer sind überhaupt unsere «Kunden und Kundinnen»? Können wir das Teammeeting nicht doch behalten, denn wann planen wir sonst die Ferien? Und die Retrospektive, muss das wirklich jeden Monat sein? Ist das nicht ineffizient?
Doch wenn alles optimal läuft, gibt es einen Zuwachs an Energie im Team. Es ist ein richtig guter Teamgeist spürbar, es ziehen alle am gleichen Strick – wir werden jetzt agil! Nur leider fühlt sich das ganze nicht sehr effizient an.
- Zusätzlich zu den agilen Meetings gibt es immer noch die übergreifenden Meetings, an denen ein «Projektleiter» oder eine «Teamleiterin» erwartet wird und dem Management Auskunft geben muss.
- Die Zusammenarbeit mit den anderen Teams oder den zentralen Services wird als enorm unflexibel und bürokratisch empfunden. Die internen Stakeholder wollen genau definieren, was sie Ende Jahr für Resultate sehen können. Vertrauen ist gut, aber Kontrolle fühlt sich einfach besser an!
- Auch die oberen Führungskräfte behalten es sich vor, bei wichtigen Entscheiden mitzureden und die Leistung der einzelnen Personen in Zusammenarbeit mit Human Resources gut zu überwachen. Wie sonst können sie den Bonus am Ende des Jahres gerecht festsetzen und die Mitarbeitenden lohnmässig richtig einstufen?
Die gläserne Decke
Das Team macht also von unten Druck: Wir müssen die ganze Firma agilisieren! Auch hier wird vielleicht externe Hilfe beigezogen: Warum nicht einen Key Account Speaker mit Charisma organisieren, der die Wichtigkeit von «Business Agility» auch gegenüber dem Management mal so richtig betonen kann?
Jetzt teilt sich die Geschichte:
- Entweder wird der Vorschlag abgeschmettert. Denn man sieht ja bereits in diesem «Pilotprojekt», dass Agilität überhaupt nicht effizient ist. Es wird nur noch mehr Meetings geben, mehr Aufwand betrieben und dann ist man nicht einmal sicher, was am Ende herauskommt! Womöglich wird dann der Versuch mit Agilität auch im Team selber gestoppt.
- Oder aber, man ist grundsätzlich einverstanden. «Business Agility», das ist das Unternehmen der Zukunft und es ist wichtig, gut aufgestellt zu sein. Vielleicht erlaubt man dann dem Team, auch bei anderen Teams «missionieren» zu dürfen, um die agile Transformation voranzutreiben. Man findet also eine Koalition aus interessierten Leuten, welche das Themen firmenweit vorantreiben wollen: Da ist eine HR-Fachfrau dabei, der Teamleiter Software, die Teamleiterin Digital Marketing, der Scrum Master und ein paar begeisterte junge SoftwareentwicklerInnen, welche Agilität aus früheren Firmen kennen.
Alles gut?
Warum es so schwierig ist, eine Organisation agil zu machen
Es gibt einige Ursachen, welche es schwierig machen, Organisationen wirklich agil zu machen:
- Meist gibt es Teile der Organisation, in welchen es wenig Sinn macht, in kurzfristigen Planungsintervallen zu arbeiten. Zum Beispiel kann es gesetzlich vorgeschriebene Compliance-Prozesse geben, welche einmal in Gang gesetzt einfach durchlaufen müssen. Zudem ist in jeder Organisation ein Spannungsfeld zwischen Stabilität und Erneuerung normal – alles nur Richtung permanente Erneuerung auszurichten kann sogar kontraproduktiv sein.
- Die agile Transformation von unten funktioniert immer nur bis zur «gläsernen Decke». Wenn sich das oberste Führungsgremium nicht einig ist, wozu Agilität genau dienen soll (gemeinsame Vision), was es dafür loszulassen gilt und welche konkreten Umsetzungsschritte nötig sind, wird die Transformation scheitern.
- Der menschliche Faktor: Das Argument «In Scrum ist das jetzt so» ist leider nicht genug, um Menschen zu überzeugen, ihre Arbeitsweise zu ändern. Gerade am Anfang braucht es viel Vertrauen in den Prozess, der sich am Anfang sehr fremd anfühlt. Was auch nicht hilft: Viele Mitarbeitende haben inzwischen bereits negative Erfahrungen mit schlecht umgesetzter Agilität gemacht.
- Organisationale Hindernisse: Ein Vergütungssystem, das Individualleistungen trackt und vergütet (z.B, die oben angesprochenen Boni), wird einer Agilisierung immer entgegenwirken. Ähnliches gilt auch für Ziele, welche für einen organisationalen Silo gesetzt werden (Ziele des Marketings versus Ziele der Produktion versus Ziele der Entwicklung).
Sinnvolle agile Transformation: Einige Ansatzpunkte
Die meisten Unternehmen erkennen früher oder später, dass sie daran scheitern, «vollständig agil» zu werden. Dies muss aber weder zu Unzufriedenheit mit der Belegschaft führen noch dazu, dass man Agilität als Idee grundsätzlich aufgibt. Einige Ideen können hier helfen:
- Da die Balance zwischen Stabilität und Erneuerung in Unternehmen durchaus sinnvoll ist, braucht es oft eine pragmatische Umsetzung von Agilität. Oft ist dies mit der Innensicht der Beteiligten allein schwierig, da dann oft der Weg des geringsten Widerstands gewählt wird. Zielführender ist die Frage: Wenn wir das Ziel, das wir mit Agilität erreichen wollen, auch für diese mit guten Grund stabilen Anteile erreichen wollen, was müssen wir dann ändern und was beibehalten?
- Das Design von Schnittstellen zwischen Agilität wie sie im Buche steht und der Unternehmensrealität ist anspruchsvoll. Es lohnt sich, alle Meetings wirklich sehr genau auf Mehrwert und Zielsetzung anzuschauen, die Prozesse auf vermittelte kulturelle Werte zu überprüfen und Rollen klar zu definieren. Wird dies sorgfältig gemacht, kann viel Frust und Widerstand gegen die neuen Arbeitsformen verhindert werden.
- Es zahlt sich aus, die Widerstände gegen Agilität genauso ernstzunehmen wie den Enthusiasmus. Nicht nur entdeckt man so wertvolle Ressourcen der Firma, die es zu schützen gilt (Punkt oben), sondern man lebt aktiv agile Führung vor: Augenhöhe, «Individuals and Interactions over Processes and Tools» (Agile Manifesto). Behutsamkeit im Umgang mit Widerständen heisst keine vorschnellen Interpretationen, sondern: Worum geht es der Person genau? Was müsste für sie erfüllt sein, damit sie sich auf die neue Arbeitsweise einlassen kann?
- Ein gutes Change Management beinhaltet viel Sponsorship und kontinuierliche Überprüfung von der obersten Führung (siehe dazu John Kotter’s 8 Steps). Erst wenn die neuen Rollen, die Entscheidungsmacht und die Prozesse definiert und eine Weile am Laufen sind, kann die zukünftige weiterlaufende Transformation an die Teams delegiert werden.
In allen vier Punkten lohnt sich eine Begleitung von aussen. Ich unterstütze Sie sehr gerne dabei.