Change Management by Iteration: Zwischen Hype und alter Tradition

Iteration im Change Management

Kürzlich bin ich auf zwei Bücher gestossen, die sich auf verblüffende Weise ähnlich sind. Beide befassen sich mit Change-Management, postulieren dafür einen «neuen Ansatz» und sie benutzen als Modell eine Art Schleife, also eine Iteration. Es handelt sich um «The Loop Approach» von Sebastian Klein und Ben Hughes sowie «Lean Change Management» von Jason Little. Beide richten sich gegen eine Tradition des Change Managements, die von einem festen Transformationsplan ausgeht und diesen dann auch strikte durchzieht. Wenn Projekte in der VUKA-Welt zunehmend weniger von A-Z durchgeplant werden können, so gilt dies vermutlich auch für komplexe Vorhaben wie eine organisationale Transformation. Vielmehr ist es zielführend, das Vorhaben in kleine Teile (Iterationen) aufzuteilen, aus denen die Erkenntnisse immer wieder neu ins Prozessdesign der weiteren Iterationen einfliessen können.

Das «neue» Modell hinter beiden Ansätzen kam mir allerdings irgendwie bekannt vor: Mit Iterationen zum Erfolg? Schon länger sind mir die Parallelen zwischen systemischer Prozessberatung und Agilität aufgefallen. Auch bei diesen beiden Ansätzen steht ein iteratives Vorgehen im Vordergrund. Lasst uns also alles miteinander in Perspektive setzen!

Die uralten Wurzeln der Iteration

Woher kommt dieser «Loop», die Schleife oder Iteration eigentlich? Ganz am Anfang war wohl der wissenschaftliche Empirismus. Und dieser ist mehr als 400 Jahre alt. Als Wegbereiter dieses Prozesses des Erkenntnisgewinns wird gemeinhin der Renaissance-Philosoph Francis Bacon (1561-1626) angesehen. Er betonte in seinem Werk Novum Organum bereits die Wichtigkeit, durch Experimente eher als durch theoretisches Räsonieren zu testen, ob eine Hypothese richtig ist oder falsch. Damit ist er einer der Begründer des modernen wissenschaftlichen Vorgehens (scientific method).

Auch in die Management-Theorie ist dieses methodische Vorgehen spätestens durch die Arbeiten der Physiker Edward Deming und Walter Andrew Shewhart eingeflossen. Ursprünglich von der Qualitätssicherung her kommend entwickelten die beiden einen Kreis zur generellen Problemlösung in Unternehmen. Der PDCA-Zyklus (auch Shewhart-Zyklus, bzw. Deming-Zyklus genannt) hat 4 Stadien: Plan, Do, Check, Act und rollt immer weiter – auch er ist eigentlich kein Kreis, sondern mehr eine Art Looping.

Iteration: PDCA-Zyklus
Der PDCA-Zyklus

Bereits in den 50er-Jahren wurde diese iterative Methode auch in der japanischen industriellen Produktion populär. Daraus entwickelten sich sowohl die «(Toyota) Lean Production»-Methodik sowie die Wurzeln der Agilität mit dem Prinzip von kontinuierlicher Verbesserung.

Der Sprint: Die Iteration in Scrum

Inspiriert von den Japanern Ikujiro Nonaka and Hirotaka Takeuchi (die übrigens 1986 als erste den Begriff «Scrum» in ihrer Beschreibung erfolgreicher Vorgehensmethoden in der Produktion verwendeten) entwickelten Ken Schwaber und Jeff Sutherland die Grundzüge dessen, was unter dem Framework «Scrum» bekannt werden sollte. Auch sie beziehen sich explizit auf den Empirismus und Lean:

Scrum is founded on empiricism and lean thinking. Empiricism asserts that knowledge comes from experience and making decisions based on what is observed. Lean thinking reduces waste and focuses on the essentials.

https://scrumguides.org/scrum-guide.html#scrum-theory

Die Iterationszyklen in Scrum heissen «Sprints». Jeder Sprint startet mit einer Planung für genau diese Iteration, jeder Sprint wird mit zwei Reflexionsformaten abgeschlossen. Im «Review» wird gemeinsam überprüft (check), in wie weit die fachlichen Ziele des Kunden bereits erreicht sind und was als nächstes anzugehen ist (act). In der «Retrospektive» wird gemeinsam reflektiert, wie die Zusammenarbeit im Team funktioniert (check) und ob es allenfalls Hindernisse zu beseitigen gibt. Verbesserungsmassnahmen werden vereinbart und direkt in die Umsetzung eingeplant (act). Während des Sprints gibt es weitere, kurze Plan-Do-Check-Act-Zyklen. Täglich wird am Standup gemeinsam geplant, was heute im Vordergrund steht, was man Neues gelernt hat und wo allenfalls Anpassungen nötig sind.

Iteration in Scrum
Der PDCA-Zyklus in Scrum

Die «Systemische Schleife»

Unabhängig von Scrum und dem Deming-Zyklus, aber ebenfalls basierend auf dem Empirismus hat sich auch die systemische Beratung entwickelt. Es ist deshalb nicht überraschend, dass auch hier ein iteratives Modell populär geworden ist: die «Systemische Schleife«. In der systemischen Organisationsberatung gehen wir davon aus, dass der Kontext entscheidend ist, ob und welche Massnahmen in der Beratung erfolgreich sind. Und der Kontext verändert sich in einem komplexen System immer gerade auch dadurch, was durch das Eingreifen der Beratenden passiert. Es gilt daher, flexibel zu bleiben und die Beratung immer wieder an den momentanen Stand der Dinge anzupassen.

  1. Der Berater oder die Beraterin beobachtet die Organisation/den Coachee.
  2. Daraus leiten sie Hypothesen ab.
  3. Anhand der Hypothesen planen sie die nächste «Intervention». Welche Idee, welchen Prozess bringe ich in die Organisation/für den Coachee ein, um hier eine Veränderung zu erreichen?
  4. Als letzer Schritt wird die Intervention mit den Beratenden durchgeführt und der Prozess beginnt von neuem.

Ein systemischer Beratungsprozess verläuft also nicht linear, da sich die Auswirkungen der Interventionen immer nur begrenzt voraussehen lassen. Der Grund dafür ist, dass es sich bei Organisationen um komplexe Systeme handelt. In ihnen sind viele Dinge gleichzeitig relevant sind und miteinander verknüpft sind. Man nähert sich dem Ziel in Iterationen immer mehr an, eher als den Weg von vornherein zu bestimmen. Dieses Vorgehen empfiehlt sich deshalb gerade auch im Change Management.

Iteration mit der Systemischen Schleife
Systemische Schleife (nach Roswita Königswieser / Martin Hilllebrand: Einführung in die systemische Organisationsberatung. Carl Auer, 2004, S. 45)

Welche Change Management-Methode ist nun die beste?

Wenn Jason Little die Methode, die er aus Scrum kennt, nun auch auf Change Management anwendet tut er Ähnliches, was systemische BeraterInnen schon länger tun. Klar, «Lean Change Management (LCM)» tönt generell etwas attraktiver als «Systemisches Change Management». Auch der «Loop Approach» nutzt Prinzipien und Werkzeuge der systemischen Beratung. Er kombiniert gängige systemische Beratungswerkzeuge zu einer Serie von Standard-Workshops. Beide «neuen Ansätze» bieten zudem gegen einen kleinen Obolus (wie übrigens auch Scrum!) einfach zu erreichende Zertifizierungen an, die sich in jedem BeraterInnenportfolio gut machen.

Es kann sicher nicht schaden, die beiden Bücher zu lesen. Mancher wird seine eigene Beratertoolbox mit dem einen oder anderen Tool daraus erweitern. Nimmt man die Ansätze allerdings als komplette Vorgehensweisen ernst, so nehmen beide der systemischen Methode, bzw. dem empirischen Ansatz etwas von ihrer Mächtigkeit. Sie reduzieren diese auf einen möglichen Vorgehensweg und Tools, legen also die Interventionen von vornherein fest. Die Stärke der systemischen Methode läge gerade darin, mit Komplexität umzugehen. Diese Komplexität des Beratungsprozesses wird für die Vermarktung vereinfacht und den Kunden eine vermeintliche Sicherheit geboten. Der «Loop-Approach» geht sogar so weit, zu suggerieren, dass mit dieser standardisierten Vorgehensweise (bis hinunter zu Workshop-Agenden!) ein bestimmtes Resultat «vorhersehbarer» ist also durch das offenere Vorgehen der systemischen Beratung.

Mein Plädoyer deshalb: Lassen wir uns und unsere KlientInnen durch marketingtaugliche Namen und vermeintliche «universelle Tools» nicht blenden und haben wir den Mut, uns auf eine flexible Reise einzulassen. Wenn wir offen genug sind, lernen wir vielleicht sogar noch etwas dabei.