Es ist bereits ein Gemeinplatz, dass wir heute in der VUKA-Welt leben1Der Begriff «VUCA» wurde in den 90er-Jahren von der US Army geprägt, um die neue Art der Kriegsschauplätze und der Kriegführung zu beschreiben, hat sich aber mittlerweile auch in die Managementtheorie verbreitet: Sie verändert sich sehr schnell (volatil), die Zukunft ist in hohem Masse unsicher, die Zusammenhänge sind komplex und es gibt oft keine eindeutigen Antworten (Ambiguität). In einer solchen Welt ist es für Organisationen überlebenswichtig, dass sie rasch lernen und sich immer wieder anpassen können. Nicht überraschend hat Peter Senge etwa zur gleichen Zeit Anfang der 90er-Jahre, als auch «VUKA» aufkam, den Begriff «Lernende Organisation (Learning Organisation)» geprägt. Lernen ist demnach eine Schlüsselkompetenz für ein erfolgreiches Unternehmen.
Viele Organisationen investieren einiges ins Lernen. Sie schicken MitarbeiterInnen gezielt in Trainings und bauen ihr Knowledge-Management aus. Einige halten «Lessons Learned»-Meetings ab, arbeiten mit agilen Frameworks oder organisieren sogar «Fuck-up-Nights«2Fuck-up Nights sind Veranstaltungen, in denen sich die Teilnehmer gegenseitig von Fehlschlägen erzählen und so gemeinsam daraus lernen.. Alles Massnahmen, die das Lernen der Organisation tatsächlich fördern können. Leider gibt es aber auch einige weit verbreitete Praktiken, welche das organisationale Lernen aktiv hindern. Zwei davon möchte ich hier kurz ausleuchten.
1. Schwächen haben nur Personen: Problematische Feedback-Praktiken
Was, Feedback soll das Lernen behindern? Ganz genau. Dies gilt leider nicht nur für die persönliche Ebene (siehe dazu den Blogpost hier), sondern noch in höherem Masse für das Lernen auf Ebene der Organisation. Problematisch ist Feedback vor allem dann, wenn die «Schwächen der MitarbeiterInnen» thematisiert werden (und dies gilt selbst dann, wenn dies in einem «Sandwich» aus Stärken passiert):
Hier zeigt sich nämlich:
- der Fokus der Organisation auf dem Stabilen: «Eher, als dass du so bleiben kannst, wie du bist und deine Stärken bei uns einbringen kannst, machen wir dich vor allem passend für den Rahmen, den wir dir vorgegeben haben! Wir nutzen nicht, was du bringst, sondern sagen dir genau, was wir immer schon gebraucht haben.«
- das Wahrnehmen von System-Problemen als persönliche Schwächen. Beispiele: Der Kunde war unzufrieden, weil Johannes dem Projektteam nicht genug auf die Finger geschaut hat. Das Produkt hatte soviele Fehler, weil unsere Entwickler nicht gut genug gearbeitet haben. Es gibt Missstimmung im Team, weil Susanne soviel redet.
- das Wahrnehmen von Veränderungspotential bei Personen, statt dem System. Genauer: Das einfachste ist, dass du dich «verbesserst», sonst müssten wir am Ende noch Qualitätssicherung/flexible Rollen/Abstimmungsmeetings etc. einführen.
Durch solche Feedback-Praktiken verpasst die Nicht-Lernende Organisation die Gelegenheit, das System als Ganzes anzupassen und die wirklichen «Root Causes» zu beheben. Bräuchte es im Team eine Diskussion darüber, welche Regeln verbindlich sind und wie wir allenfalls bestehende starre Aufgabenbereiche flexibler aufteilen? Warum war denn überhaupt die MitarbeiterIn an einer Position, wo sich ihre/seine Schwächen so negativ auswirken? Müsste da allenfalls der Recruiting-Prozess überdacht werden? Oder fehlt es an Knowhow-Transfer, Weiterbildung, Zusammenarbeit zwischen Abteilungen? Bräuchten wir eine Beförderungsmöglichkeit zu Fachexpertentum, statt nur zu Personalführung? Warum kümmert sich eigentlich nur Johannes darum, dass das Projekt rechtzeitig fertig ist? Und was waren die Faktoren, die ihn dieses Mal daran gehindert haben? Warum stresst es das Team derart, wenn Susanne viel redet?
2. Die Nicht-Lernende Organisation hat kein Problem: Rituale der Problemvermeidung
Zweitens: In vielen Organisationen ist schon das Wort «Problem» ein Tabu. Lieber spricht man von «Herausforderungen». (Ich habe selber schon in einem Software-Team gearbeitet, da sprachen wir prinzipiell nie von «Bugs», nur von «unfertigen Features»). In diesem Zusammenhang kann man verschiedene populäre «Rituale» beobachten:
- Sag nicht immer «ABER», bei uns heisst das «UND»! (das sogenannte «Growth-Mindset» lässt grüssen)
- Ich will nichts von Problemen hören, bringt mir Lösungen! (verwandt mit «Liefere, statt lavere»)
- Bevor du was kritisierst, mach es selber erst mal besser! (Oder: «Wenn’s dir nicht passt, kannst du ja gehen»)
Bei all diesen Ritualen geht es um falsch verstandene «Lösungsorientierung», die hier nicht produktiv genutzt wird, sondern stattdessen das Thematisieren von Problemen aktiv erschwert.
Falsch verstandene Lösungsorientierung
Das Tabuisieren von «Aber…» dient vor allem dazu, unangenehmen Widerstand und Einwände unsichtbar zu machen. Dabei hat die Person, welche «Aber…» sagt, womöglich einen wichtigen Beitrag zu einer noch nachhaltigeren Lösung. Oder sie weist zumindest darauf hin, dass irgendein Bedürfnis von ihr hier verletzt wird und dass sie die Sache so nicht mittragen kann. Wäre es nicht besser, das im Voraus zu wissen statt sich nachher zu wundern, warum es nicht geklappt hat? Statt dem obigen Satz also: Was bräuchtest du denn, damit du zu dem Vorschlag ja sagen könntest?
Zum zweiten: Sofort die Lösung bringen? Sobald ein Problem etwas komplexer ist und in der Behandlung eventuell Koordination oder nicht lokales Wissen bräuchte, wird eine Lösung hier unmöglich (umso fataler in Kombination mit der bereits beschriebenen Idee, dass immer Einzelpersonen an etwas schuld sind). Die Denkweise, dass nur Lösungen diskussionwürdig sind, führt zu Schnellschüssen und lokaler Optimierung, welche dem System als ganzes schaden kann.
Und zum Dritten: Kritiker müssen ein Problem lösen? Wer also auf Probleme hinweisen will, lädt sich immer automatisch die Arbeit auf, sie auch gleich zu beheben. Wie lange geht das wohl gut? Zudem: Ist derjenige, der ein Flair für den «stinkenden Fisch» hat, immer der, der die Kompetenz und die Kreativität hat, etwas auch nachhaltig zu lösen? Noch schlimmer wird das ganze, wenn sich die Problembewussten dann tatsächlich eher für das «Gehen» entschliessen, weil ihre Kritik nicht erwünscht ist. Wie Nummer Zwei ist auch Nummer Drei also vor allem ein Mechanismus, um Probleme nicht ansprechen zu müssen und den Status Quo (scheinbar) zu wahren.
Wie werden wir eine Lernende Organisation?
Indem man Probleme gar nicht beim Namen nennen darf, führt man den eigentlich positiven Begriff «Lösungsorientierung» ad absurdum. Es mag zielführend sein, ein altes Problem nicht nachträglich ausführlich zu analysieren – auf den Tisch sollte es aber kommen dürfen. Wer es dann löst und wie das sinnvoll geschieht, ist eine zweite Frage.
Beide der oben beschriebenen Phänomene sind Teil der implizit vorhandenen Organisationskultur. Sie werden täglich gelebt, zementieren sich dadurch und wirken deshalb oft noch stärker auf Lernen oder Nicht-Lernen als das Einführen expliziter Lernmassnahmen wie Retrospektiven, Fuck-Up Nights etc. Es kann sich deshalb umso mehr lohnen, hier eine Veränderung anzustreben. Ich helfe Ihnen gerne dabei, solche Mechanismen aufzudecken – hier hilft oftmals die Aussensicht.