Meetings: Starten ohne Zeitverschwendung!

Virtual meeting checkin

Kürzlich hat sich wieder ein Softwareentwickler bei mir über seine Meetings beschwert. Nicht nur, dass es viele sind – am Anfang gäbe es immer so «Check-In-Aktivitäten»: «Das ist doch nichts als Zeitverschwendung, oder?» Was er damit meinte: Offenbar wurden einige der Sitzungen, an denen er teilnehmen muss, mit kleinen Auflockerungen zu Beginn angereichert. Beispiele: drei Statements abgeben, von denen eins eine Lüge ist, seine emotionale Verfassung als «Wetterbericht» visualisieren, ein Tier wählen, mit dem er sich verbunden fühlt, oder Ähnliches. Ich habe mich dann daran erinnert: Auch ich empfand diese Aktivitäten früher manchmal als sinnlos und aufgezwungen. Anlass genug, sich zu überlegen, warum und wie man so etwas machen sollte.

1. Was bezwecke ich mit dem Check-In?

Auf Anhieb habe ich fünf verschiedene Gründe gefunden, wozu ein Check-In zu Beginn eines Meetings dienen kann:

  • Einander kennenlernen: In neuen Teams oder Arbeitsgruppen sowie vor längeren Trainings gibt es in der Regel eine Vorstellungsrunde. So lernt man sich kennen und entdeckt, wer allenfalls Gemeinsamkeiten mit einem selber hat. Dies dient als Eisbrecher für späteres Netzwerken.
  • Einstimmen, Raum schaffen für das, was kommt: Vor allem mit einem durchgetakteten Kalender ist es sinnvoll, sich kurz Zeit zu nehmen um sich auf das folgende Meeting einzustellen. Konventionell geschieht das durch die Präsentation einer Agenda. Denkbar sind aber auch Alternativen wie eine Schweigeminute, ein tiefes Durchatmen oder eine kurze Reflexion über das, was am Ende des Meetings erreicht werden soll.
  • Aufwecken, Aktivierung: Vor allem frühmorgens, oder remote wenn man über den Tag noch mit niemandem gesprochen hat, ist es sinnvoll, wenn alle kurz ihre Stimme testen können. Wenn jeder schon einmal etwas gesagt hat, ist die Hemmschwelle für spätere Beteiligungen schon einmal gefallen. Alle sind angekommen und aufgewärmt.
  • Befindlichkeit/Emotionen des Teams visualisieren, miteinander in Kontakt treten: Hier wird sozusagen Mikro-Teambuilding gemacht, in dem jeder ein bisschen von sich preisgibt. Die anderen Teammitglieder erfahren etwas mehr, man lernt sich noch besser kennen.
  • Kreativität anregen: Durch witzige und kreative Aktivitäten am Anfang eines Workshops oder Teamevents wird schon einmal die richtige Stimmung für Ideengenerierung oder zwanglosen Austausch geschaffen. Beispiele sind die vom Improvisationstheater abgeleiteten Tipps hier).

Selbstverständlich kann eine Check-In-Aktivität gleich mehrere dieser Aspekte gleichzeitig abdecken. Bereits hier wird aber auch klar, dass die Art der gewählten Check-In-Aktivität zum entsprechenden Meeting passen muss.

2. Um was für ein Meeting handelt es sich?

Ein wichtiger Punkt ist die Länge des Meetings. Wer möchte von den 15 Minuten Daily Standup sieben mit der Diskussion über Lieblingstiere verbringen? Soll man hingegen den ganzen nachfolgenden Tag produktiv gemeinsam zusammenarbeiten oder lernen, wird auch eine halbstündige Check-In-Aktivität zum gemeinsamen Kennenlernen meistens gut akzeptiert. Kurz bedeutet aber nicht, den Check-in auf jeden Fall zu streichen: Selbst vor einem stressigen 10-minütigen Kurzaustausch kann es Sinn machen, vor dem Meeting einfach einmal gemeinsam durchzuatmen. Diese halbe Minute ist gut investierte Zeit gerade in einer kritischen Projektphase. Die Länge des Check-Ins sollte immer proportional zur Länge des Meetings sein.

Der zweite Punkt ist der Zweck des Meetings. Macht es Sinn, vor einer durchgetakteten Koordinationssitzung für operative Tätigkeiten die emotionale Befindlichkeit jedes Teammitglieds abzuholen? Wenn danach keine Zeit zur Verfügung steht, um allfällige Probleme zu behandeln, eher nicht. Man landet mit grosser Wahrscheinlichkeit beim altbewährten «Wie geht es dir?»- «Gut»- «Auch gut» – «Alles ok», weil alle die Sitzung speditiv hinter sich bringen wollen. In einer Retrospektive oder in einer wöchentlichen Teamsitzung ist dies hingegen sinnvoll – vorausgesetzt, man ist auch bereit, dem Unangenehmen, das auftauchen könnte, in die Augen zu sehen. Ebenso seltsam ist es, das Meeting mit einem kreativen Spiel anzufangen, wenn danach lediglich eine Top-Down-Information des Bereichsleiters ansteht. Die kreative Anregung macht Lust auf mehr und kann in diesem Setting zu Frust führen. Ein Check-In mit Fokus Teambuilding wiederum macht am meisten Sinn, wenn es sich auch wirklich um eine Gruppe handelt, die über längere Zeit zusammenarbeiten soll.

Auch die Kadenz des Meetings spielt eine Rolle. Findet ein Meeting jeden Tag statt, braucht es nicht immer ein Check-In. Vielleicht reicht ein längerer Team-Check-In am Anfang der Woche? Findet in einer monatlichen Sitzung immer der gleiche Check-In statt, kann dies als ein verbindendes Ritual empfunden und als Barometer für Veränderungen genutzt werden. Andere Teams fühlen sich gelangweilt, wenn immer das gleiche ansteht. Für diese Dinge ist es schwierig, Tipps zu geben, welche in jedem Umfeld sinnvoll sind. Hier braucht es Fingerspitzengefühl und den Mut, Dinge auszuprobieren und auch wieder zu ändern (in einem Coaching oder in meinem Workshop 3 wäre der Platz, dies vertieft anzuschauen).

3. Respektiere ich mit dem Check-In die Komfortzone oder nicht?

Stichwort Fingerspitzengefühl: Hier kommen wir zu einem weiteren wichtigen Punkt, nämlich der Komfortzone der SitzungsteilnehmerInnen. Verschiedenen Menschen fällt Verschiedenes einfacher oder schwerer. Auch gibt es verschiedene Auffassungen darüber, was man im Berufsalltag akzeptabel, sinnvoll und professionell findet und was eher nicht. Während es für die eine Mitarbeiterin grenzwertig ist, über ihr grösstes Erfolgserlebnis bei der Arbeit zu berichten, prahlt eine andere unbeschwert jeden Tag mit ihren Heldentaten. Die eine Mitarbeiterin liebt kreative Metaphern, für den andern ist der Vergleich mit einem Tier ein Angriff auf seine persönliche Würde. Der eine Mitarbeiter kritzelt gerne, dem anderen kommen bei der Aufforderung zum Zeichnen ungute Erinnerungen an die Schulzeit auf.

Hier ist sorgfältiges Abwägen gefragt – umso mehr, wenn es sich um TeilnehmerInnen handelt, die man noch nicht so gut kennt. Auch das Reden über Emotionen ist nicht für alle gleich einfach. Über mehrere Meetings mit demselben Team lassen sich jedoch diese Dinge schrittweise erlernen und als eine Art Ritual etablieren. Mit jedem neuen Thema, jeder neuen Aktivität erweitert sich so auch der Raum der psychologischen Sicherheit im Team.

Es geht also immer um die Balance. Will ich den TeilnehmerInnen vor allem einen problemlosen Start in die Sitzung ermöglichen, oder sollen sie auch ein bisschen aus der Komfortzone kommen? Gelingt die Balance, ist die Zeit optimal investiert. So beeinflusst man nicht nur das Meeting positiv, sondern betreibt mit jedem Meeting ein bisschen Team- oder Organisationsentwicklung.