Hand aufs Herz: Wie geht es Ihnen, wenn Sie wissen, dass Sie gleich von jemandem ein «Feedback» bekommen werden? Ich kenne Leute, bei denen erhöht sich der Puls, es rumort im Bauch, die Nackenhaare stellen sich auf (in einem Artikel zum Jahresendgespräch habe ich das Phänomen schon einmal angesprochen). Andere haben ein leicht mulmiges Gefühl, sagen sich dann aber «Das ist wichtig, stell dich nicht so an, lächle und bedanke dich!». Wieder andere denken an eine schöne Erinnerung, atmen tief durch, stellen sich das Gegenüber im Pyjama vor (der Chef ist auch nur ein Mensch) – sie sind bereit.
Feedback ist negativ!
Warum das? Der Grund für die negativen Emotionen ist die «Feedbackkultur» in vielen Unternehmen. Diese besteht darin, dass Feedback in neun von zehn Fällen bedeutet, dass jemandem etwas nicht gefällt. Nur selten wird eine ausschliesslich positive Rückmeldung als «Feedback» bezeichnet. Wertschätzung, Lob und Begeisterung drückt man (wenn überhaupt!) informell und spontan aus und braucht dafür kein spezielles Meeting oder ein Label wie «Feedback». Hinter der «Feedbackkultur» verbergen sich überdies eine Reihe von problematischen Annahmen.
Annahme 1: Wir werden besser durch Feedback von anderen.
Marcus Buckingham und Ashley Goodall zeigen in einem immer noch lesenswerten Harvard Business Review-Artikel (2019) in überzeugender Manier auf, warum diese Annahme problematisch ist. Grob gesagt geht es darum, dass erstens das Gegenüber auch nicht objektiv urteilt und zweitens für viele Dinge im beruflichen Kontext kein eindeutig bester Weg besteht, wie man etwas macht1Im Artikel erwähnte Ausnahmen sind hier Dinge wie: Korrektes Anflugsprozedere auf einen Flughafen, Verabreichung einer Injektion unter Einhaltung von medizinischen Standards etc. : Wie hält man eine Präsentation? Was zeichnet einen guten Verkäufer aus? Wie leitet man ein Projekt? Wer leitet die Abteilung am besten? Wie kommuniziert man effektiv? Alle diese Dinge hängen stark von Kontext ab, aber auch vom persönlichen Stil der Person. Wenn ich nun Feedback erhalte, dass ich in meinem Team «zu wenig informiere», «forsch auftrete» oder «zuviel kontrolliere», sagt das mindestens soviel über die Person aus, die mir Feedback gibt wie über mich selber. Immer vorausgesetzt, dass sich das Feedback wenigstens auf ein konkretes Beispiel bezieht und nicht auf einen «generellen Eindruck», der dann noch schwieriger einzuordnen ist.
Alternative: Sichtweisen abgleichen, Standards gemeinsam etablieren.
Es muss hier nicht der Feedbackempfänger vom Feedbackgeber etwas lernen und dann sein Verhalten anpassen, sondern zwei Menschen sollten sich darüber austauschen, was die jeweilige Person von der anderen effektiv braucht (Bedürfnisse) und wie die zwei sich entgegen kommen können.
Nützliche Fragen dazu:
- Woran würdest du merken, dass es gut ist?
- Wie sähe für dich das optimale Vorgehen aus? Was verlieren wir genau, wenn wir davon abweichen?
- Was brauchst du genau von mir? Warum ist dir das wichtig?
- Wie stellen wir sicher, dass wir beide zufrieden sind?
Annahme 2: Wer auf Feedback emotional reagiert, muss sich weiterentwickeln.
Auf negatives Feedback – vor allem zu Themen, wofür es keine objektiven Standards gibt – reagieren wir in der Regel mit negativen Emotionen. Scham («wie stehe ich jetzt da»), Wut («was glaubt der eigentlich!») oder Angst («hat das Konsequenzen?») entstehen einzeln oder in Kombination.
Wer nun diese Gefühle nicht gut genug verbergen kann, lädt sich oft den zusätzlichen Stempel auf, «nicht kritikfähig» zu sein, bzw. mit Feedback nicht umgehen zu können. Dahinter steckt jedoch mehr. Die stärksten emotionalen Reaktionen treten auf, wenn wir direkt in unserer Identität oder unserem Selbstbild verletzt werden («sie denkt, ich bin eine schlechte Teamleiterin / faul / nicht engagiert genug»). Oft benutzte und gut gemeinte Formeln heizen den Prozess noch an. Die (unechte) Frage «Darf ich dir ein Feedback geben?» etabliert ein Machtgefälle und stört auf der Beziehungsebene schon einmal ein bisschen vor (noch mehr, wenn sie mit «Nein!» beantwortet wird…). Auch das zerknirschte «Ich danke dir für das Feedback!», welches die negativen Emotionen unter dem Deckel hält, ist zwar höflich, aber selten hilfreich. Wer dankt, hat etwas erhalten – aber selber nichts gegeben.
Alternative: Auch Gefühle, Interessen und Bedürfnisse thematisieren
Emotionen sind nicht stressige Nebenwirkungen, sondern oft der Schlüssel zu wichtigen Themen. Es kann deshalb nicht schaden, sich auch darüber auszutauschen – im Positiven wie im Negativen:
- «Als du deinen Vortrag gehalten hast, bekam ich im Abschnitt «Current Trends» etwas Bauchweh. Mir ist es wichtig, dass wir als Firma im Bereich X kompetent erscheinen.»
- «Mir ist es wichtig, dass wir unser Projektziel erreichen. Dass du nun auch noch Petra im Juni Urlaub gewährt hast, macht mir etwas Angst in Bezug auf die Deadline. Was waren deine Beweggründe?» – «Mir ist es als Teamleiterin wichtig, dass ich auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen eingehen kann.»
- «Ich merke gerade, dass mich das ärgert. Der Grund ist wohl, dass ich eigentlich auch selber sehr hohe Standards an meine Arbeit habe…»
Annahme 3: Solange der Satz mit «Ich…» beginnt, formuliere ich fair.
Es gibt ein paar populäre Techniken im Zusammenhang mit Feedback. Eine davon ist die Sandwich-Technik (ich sage etwas Gutes, dann das Schlechte, und dann nochmals was Gutes). Die Balance von positiven und negativen Äusserungen ist an sich eine gute Idee. Das Sandwich hat aber zwei Probleme: Mit dieser Technik erhofft man sich in der Regel, dass die Emotionen nicht so hoch aufwallen. Wie wir im vorhergehenden Abschnitt gesehen haben, sollte dies jedoch nicht das Ziel sein. Zweitens werden die positiven Äusserungen erst gesucht, weil wir etwas Negatives sagen wollen (nicht umgekehrt). Diese Intention ist für das Gegenüber sofort spürbar und somit meist wirkungslos («komm schon zur Sache, dieses Lob meinst du sowieso nicht ernst…»). Das Positive am Ende wird dann schon gar nicht mehr gehört, da die negativen Emotionen inzwischen übernommen haben.
Oft ist auch bekannt, dass man «Du-Botschaften» vermeiden sollte. Man beginnt also den Satz mit «Ich…» und hofft, das Gegenüber so weniger zu verletzen. Das Problem dabei: Ich und Du-Botschaften unterscheidet man nicht am Pronomen, das verwendet wird, sondern daran, auf welche Person sich die Aussage bezieht. «Ich fühle mich verletzt, weil ihr mich ignoriert habt» ist eine versteckte doppelte Du-Botschaft: «Du hast mich verletzt, ihr habt mich ignoriert!». Verletzt ist ebenso wie betrogen, übergangen, ignoriert etc. ein unechtes Gefühl, da es implizit einen Täter nennt: Die andere Person! Besser wäre: «Ich bin traurig darüber, dass ihr mich wegen des Events nicht angefragt habt» (echtes Gefühl + Bezug auf Fakten).
Alternative 3: Von sich und seinen Beobachtungen sprechen
Als erstes gilt es also, über echte Gefühle zu sprechen (siehe Tipp 2). Hier können Sie sich an die (je nach Modell) 4-8 Grundemotionen halten. Sind sie traurig, wütend, ängstlich oder überrascht? Zweitens ist es wichtig, bei Beobachtungen zu bleiben (ich wurde nicht eingeladen, die Präsentation war 10 Minuten lang) und Interpretationen zu vermeiden (ihr wollt mich nicht dabeihaben, ihr haltet das Thema für unwichtig). Fragen Sie das Gegenüber offen nach seinen Intentionen und vermeiden Sie vorformulierte Alternativen («Was war deine Absicht?» statt «Wolltest du mir zeigen, dass das Thema nicht wichtig ist oder warst du einfach vergesslich?»).
Und schliesslich: Mit dem spontanen Ansprechen von positiven Gefühlen und positiven Beobachtungen (ganz ohne negativen Ausgleich!) machen Sie dem Gegenüber eine Freude und üben schon einmal für die schwierigeren Gespräche. Geben wir einander also etwas weniger Feedback und bleiben wir einfach mehr im Austausch – auf allen Ebenen.