Gegen das Unbehagen im Jahresendgespräch

Jahresendgespraech: Der Samichlaus

Das Jahr neigt sich dem Ende zu. In vielen Firmen findet nun – einmal im Jahr – ein besonderes Meeting zwischen Führungskraft und MitarbeiterInnen statt. Ob dieses unverdächtig als «Jahresendgespräch», «1:1 Feedback» oder direkt als «Mitarbeiterbeurteilung» eingetragen ist: Oft geht es dabei in erster Linie um eine Beurteilung des Teammitglieds (und manchmal in zweiter Linie der Führungskraft), oft ist dieses Resultat lohnwirksam und oft sind sowohl Führungskraft als auch Teammitglied davor etwas nervös. Bei manchen kommen gar passend zur Adventszeit leise Erinnerungen an die «Samichlaus»-Thematik der Kindheit hoch: Ist meine Leistung ausreichend? Hat meine Chefin gesehen, was ich in diesem Jahr alles verbockt habe? Wird sie es ansprechen? Und was mache ich dann?

Mangelnde Routine, schlechte Erfahrungen – und dann noch Feedback!

Woher kommt diese Nervosität? Erstens einmal fehlt beiden Beteiligten die Routine. Wenn man nur ein einziges Mal im Jahr Feedback zur Person gibt oder bekommt, kann vieles schiefgehen. Um etwas Halt und Vergleichbarkeit zu schaffen, entwickeln Firmen Gesprächsleitfäden, oft auch kombiniert mit Bewertungsskalen. So stellen sie sicher, dass im Jahresendgespräch alles angesprochen wird, was angesprochen werden soll. Nicht immer passen diese Skalen aber auf die Situation von Führungskraft und MitarbeiterIn. Und da das Feedback nur am Ende des Jahres gegeben wird, ist es klar gewichtet: Die Vorkommnisse im letzten Monat sind noch präsent, Ereignisse vom März eher nicht mehr.

Dazu kommen eventuell schlechte Erfahrungen mit dem Jahresendgespräch: Ein früherer Chef hat mich für mein Verhalten kritisiert, meine Leistung wurde nicht gesehen, ich wurde ungerecht behandelt. Die mangelnde Routine bei der Führungskraft oder unpassende Bewertungsskalen können diesen Teufelskreis leicht noch verstärken. Zudem hat oft auch die Führungskraft Erfahrungen, welche nervös machen: Letztes Mal, als ich das ansprach, ist der Mitarbeiter ausgetickt! Nur nicht wieder diese Emotionen… ich meine es ja gar nicht so! Er kann einfach nicht mit Kritik umgehen, das muss er lernen…

Drittens: Das Thema «Feedback». Für viele MitarbeiterInnen ist Feedback das, was man angeboten bekommt, wenn etwas nicht gut gelaufen ist. In vielen Unternehmen – gerade auch agilen – herrscht eine grössere Aufmerksamkeit für das Negative: Finden wir die Probleme, verbessern wir, was nicht gut läuft! Für die Führungskräfte folgt daraus, dass sie primär Negatives ansprechen (wenn sie sich schon die Zeit dafür nehmen). Feedback hat also schon den negativen Beiklang. Selbst wenn es gut gemeint ist – kritisches Feedback wertschätzend zu geben, so dass der andere es auch wirklich hören und umsetzen kann, ist schwierig und einen eigenen Blogbeitrag wert. Die Sandwichtechnik oder auch den Satz mit «Ich…» zu beginnen, reicht dabei leider nicht aus. Ein erster Schritt ist das Reflektieren darüber, was wir negativ empfinden und ob und wie wir dies ansprechen.

Wann ist ein Fehler ein Fehler?

Ist es denn nicht so, dass wir aus Fehlern lernen? Wir brauchen doch eine Fehlerkultur im Unternehmen, wir können doch nicht alles persönlich nehmen!

Ja, wir lernen aus Fehlern. Aber was ist überhaupt ein Fehler? Marcus Buckingham und Ashley Goodall weisen in einem berühmten Artikel des Harvard Business Review darauf hin, dass es einen Unterschied macht, ob man objektiv von einem Fehler sprechen kann oder eben nicht: Wenn es eine allgemein standardisierte Praxis gibt, wie etwas zu machen ist (etwa, wie eine Krankenschwester eine Injektion geben soll oder wie man beim Landeanflug mit dem Tower kommuniziert), dann ist es nötig und wichtig, auf Fehler hinzuweisen. Im Unternehmensalltag ist aber der andere Fall ebenso häufig: Es gibt keine allgemein akzeptierte beste Art, wie man einen Vertrag akquiriert, wie man mit dem Kollegen kommuniziert oder ein Projekt leitet.

Hier kommen die Firmenkultur, die eigenen Glaubenssätze und der eigene Stil ins Spiel. Und Kritik an den letzteren beiden nehmen wir oft persönlich, weil sie an unser Innerstes rührt. Nur weil die Führungskraft das Projekt anders leiten würde als der unterstellte Projektleiter, muss das noch nicht schlecht sein. Es ist nicht einmal so, dass es notwendigerweise eine Kausalität gibt zwischen schlechten Projektresultaten und einem abweichenden Stil des Projektleiters (Projekte sind vielen Faktoren unterworfen und oft komplex). Nur weil der Rest des Teams salopp und direkt miteinander umgeht, heisst das nicht, dass auch die introvertierte Praktikantin das lernen muss, um gut beurteilt zu werden. Hier kann es helfen, sich als Führungskraft dieser Präferenzen und Glaubenssätze bewusst zu werden und diese selber auch kritisch zu hinterfragen.

Beschwingt aus dem Jahresendgespräch: Drei Tipps

Wie kann ich also als Führungsperson das Jahresendgespräch entschärfen – für mich und meine MitarbeiterInnen? Die folgenden drei Tipps können dabei helfen, das gefürchtete Meeting zur Beziehungspflege zu nutzen und zum Guten zu wenden:

1. Thematisieren Sie schlechte Erfahrungen und eigene Präferenzen!

Fragen Sie Ihre MitarbeiterInnen nach Erfahrungen mit Jahresendgesprächen und Beurteilungen. Was möchte der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin auf keinen Fall? Wann fühlt sich der Mitarbeiter oder die Mitarbeiterin von Ihnen ernstgenommen? Welche Vereinbarungen, welche Form braucht es, damit das Gespräch erfolgreich ablaufen kann? Können Sie den MitarbeiterInnen hier entgegenkommen?

Wenn Sie denken, dass ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin negatives bzw. zu verbesserndes Verhalten gezeigt hat: Überlegen Sie genau, ob es sich dabei um Abweichungen von einem vereinbarten Standard oder aber um Abweichung von Ihren persönlichen Vorstellungen geht. Im zweiten Fall kann es helfen, genau das transparent zu machen: «Wir haben offensichtlich unterschiedliche Auffassungen über X – was sind deine Auffassungen/Erfahrungen dazu?». Wenn es kein «Richtig oder Falsch!» gibt, können Sie beide dazulernen. Ein Austausch auf Augenhöhe ermöglicht es, die Überlegungen, Präferenzen oder Glaubenssätze der jeweils anderen Person kennenzulernen. Unterschiedliches Verhalten, unterschiedliche Praktiken können ein Team durchaus auch schlagkräftiger machen (Stichwort Diversität). Oder aber es fehlt auch hier eine verbindliche Vereinbarung, auf die man sich einigen kann. Um eine Leistung zu beurteilen, sollte schliesslich vor allem das erreichte Resultat herangezogen werden, nicht der Weg dazu.

2. Führen Sie das Jahresendgespräch als Stärkeninterview!

Wie Forschung im Bereich der positiven Psychologie und des «Positive Leadership» gezeigt hat, macht es bei einem Mitarbeitergespräch mehr Sinn, auf die Stärken einer Person zu fokussieren als auf deren Schwächen1Siehe z.B. Kim Cameron, Positive Leadership: Strategies for Extraordinary Performance. Oakland: Berrett-Koehler, 2007: S. 60ff:

  • Das Fokussieren auf den Schwächen eliminiert im besten Fall die negative Abweichung vom Standard, führt aber damit noch nicht zu einer positiven Abweichung. Somit ist nicht mehr als durchschnittliche Leistung zu erwarten.
  • Fokussiert man auf die Stärken, kann die Leistung hingegen ins Positive gesteigert werden. Durch das Schaffen eines positiven Klimas der gegenseitigen Wertschätzung, wo Mitarbeiter nach ihren Stärken eingesetzt werden, kann die Performance eines ganzen Teams überdurchschnittlich verbessert werden.

Ein Stärkeninterview ist immer kontextabhängig, d.h. es geht um die Stärken, welche für die jeweilige Position direkt relevant sind:

  • Welche Stärken können Sie in Ihrer gegenwärtigen Position zeigen? (ergänzt durch: Welche Stärken sehe ich als Führungskraft?)
  • Welche Stärken, die Sie auch noch mitbringen, würden Sie gerne vermehrt einsetzen? (ergänzt durch: Was können wir gemeinsam tun, damit Sie diese Stärken vermehrt einbringen können?)
  • Welche Schwächen hindern Sie daran, Ihre oben benannten Stärken voll einzubringen? (ergänzt durch: Was kann jeder von uns (Führungskraft, MitarbeiterIn) dazu beitragen, dass diese Schwächen Sie weniger behindern?)

Ein weiteres konstruktives Werkzeug mit Stärken und Schwächen ist auch das Wertequadrat nach Friedemann Schulz von Thun.

3. Häufigkeit steigern, routinierter werden!

Wahrscheinlich ist es für dieses Jahr dafür zu spät. Aber für nächstes Jahr: Versuchen Sie schon während des Jahres Gespräche mit den MitarbeiterInnen zu führen, in denen die einzelnen Elemente des Jahresendgespräches wie Wertequadrat oder Stärkeninterview schon auftauchen. So verliert das grosse Meeting an Gewicht, und beide Parteien gewinnen Routine im Umgang mit der Situation. Wäre das schon ein Neujahrsvorsatz? Ich verspreche Ihnen im Gegenzug fürs neue Jahr schon einmal einen Blogbeitrag zum Thema «Kritisches Feedback geben». Bleiben wir in Gang!