Geht es irgendwo um Agilität, ist das Buzzwort «Agiles Mindset» meist nicht weit. Der Glaubenssatz dahinter: Erst das «Agile Mindset» macht den Unterschied, ob ein Team richtig agil ist oder bloss mit Scrum, SAFe oder einem anderen Framework arbeitet.
Was aber heisst «Agiles Mindset» genau? Hinter dem Wort «Mindset» versteckt sich ein ganzer Komplex von Ideen, der die teils angeborenen, teils erlernten psychologischen Wesenszüge eines Menschen mischt mit dessen persönlichen Überzeugungen, Annahmen und Wertvorstellungen:
- Bin ich eher für Veränderungen zu haben, oder ist mir Stabilität wichtig?
- Ist für mich das Glas halbvoll oder halbleer?
- Wie denke ich, dass sich eine Führungskraft verhalten sollte?
- Bin ich der Meinung, dass man der Regierung/den Medien vertrauen kann?
- Glaube ich, dass sich Menschen ändern können?
- Glaube ich, dass ein wirklich guter Mitarbeiter noch Fehler macht?
- etc.
«Mindset» hat zudem eine soziale Dimension. Oft spricht man von Mindset im Zusammenhang mit einer Gruppe, einem Team, einer Generation. Geteilte Überzeugungen und Wertvorstellungen schaffen hier erst die Identität und prägen die Kultur.
Daraus – aus dieser Komplexität! – folgt fast automatisch: Das «Mindset» kann weder beim Individuum einfach ausgetauscht oder verändert werden, noch in einem Team. «Du hast einfach noch nicht das richtige Mindset!»/»Ihr müsst im Team erst das agile Mindset haben, sonst wird das nichts mit Scrum!» ist deshalb selten eine hilfreiche Anweisung.
Das «agile Mindset»: Ein bunter Blumenstrauss
Zweitens: Der Begriff «Agiles Mindset» ist selber schwammig und oft ist ganz Verschiedenes damit gemeint. Dazu kann etwa gehören (Aufzählung unvollständig):
- Schnell auf Veränderungen reagieren können
- Eher experimentieren, als vorher lange analysieren
- Der Wille, kontinuierlich zu lernen und sich zu verbessern
- Freiwilliges Teilen von Wissen
- Arbeiten in einem nachhaltigen Tempo (keine Last-Minute-Nachtschichten)
- Freude an der handwerklich guten Arbeit («Craftsmanship»)
- Respekt vor dem Anderen, Anerkennung der Diversität
- Der Mut, zu eigenen Fehlern zu stehen (und aus diesen zu lernen)
- Fähigkeit, zu fokussieren (kein Multitasking)
- Offene Kommunikation, Transparenz
- Offenheit für neue Ideen, Kreativität
- Konflikt- und Kritikfähigkeit
- Vertrauen in die KollegInnen haben
- Selbständige Übernahme von Verantwortung, jeder «führt»
- Verbindlichkeit, zu Entscheiden stehen (Commitment)
- Kunden- und Wertorientierung
Wie bekommt mein Team ein agiles Mindset?
Wie soll man nun das alles hinbekommen? Der bunte Strauss an Anforderungen oben macht deutlich, dass es verschiedene Zugangspunkte braucht.
- training: Konfliktfähigkeit und den Umgang mit schwierigen Gesprächssituationen kann man zu einem gewissen Grad trainieren, Craftsmanship (gutes Handwerk) durch Aus- und Weiterbildungen fördern.
- Agile Frameworks: Scrum und Kanban fördern gezielt die Fähigkeit zu fokussieren, bzw. bringen das Team dazu, in diesem Bereich besser zu werden. Auch die Kunden- und Wertorientierung wird automatisch besser, wenn Scrum gemäss dem Scrum-Guide umgesetzt wird und ein guter Product Owner zur Verfügung steht.
- Der Kontext: Ob ein Team/ein Individuum den Mut hat, zu eigenen Fehlern zu stehen, das eigene Wissen zu teilen oder kreativ eigene Ideen einzubringen, hängt wesentlich davon ab, wie das Unternehmen und die Führungskraft darauf reagiert (Stichwort Incentives). Auch bei der Übernahme von Verantwortung (siehe dazu hier) und beim Vertrauen ist die Rolle der Führungskräfte zentral.
- Teamworkshops und Coaching: Das Bewusstsein für die Diversität des Teams und der gegenseitige Respekt kann mit Teamworkshops gefördert werden. Auch für alle kontextabhängigen Dinge (siehe oben) kann es hilfreich sein, den Blick dafür in einem Workshop zu schärfen.
Schwieriger wird es, wenn es um persönliche Wesenszüge geht. Das «agile Mindset» favorisiert klar die Flexiblen vor den Hütern der Stabilität, pragmatisches Vorgehen vor der Analyse. Was nun mit den eher vorsichtigen MitarbeiterInnen? Denjenigen, welche eher detailorientiert sind und gerne ausführliche Analysen machen? Den eher kritischen, die immer die Risiken sehen statt die Chancen? Die Antwort heisst: Diversität ist wichtig! Ein schlagkräftiges Team braucht diese Mitglieder genauso, auch wenn es agil arbeitet. Wichtig ist hier, dass das Team konfliktfähig ist, Diskussionen effizient führen kann und alle Teammitglieder erkennen, welchen Beitrag genau diese Personen leisten. Bei diesen Kernpunkten liegt also der Schlüssel.
Das Etablieren eines «agile Mindset» ist keine einmalige Aufgabe. Wie jede Kulturveränderung kann es unter Umständen lange dauern. Man muss es pflegen und aktiv jeden Tag einfordern – nicht nur im eigenen Team, sondern auch in der prägenden Umgebung. Gerne helfe ich Ihnen dabei!