Der Übergang von der Rolle MitarbeiterIn zur Rolle ChefIn ist zwar meist ein erfreuliches Ereignis, schafft aber oft auch Unsicherheit: Moderne Führung – wie geht das? Kann ich auch führen, ohne autoritär aufzutreten? Alleine das Wort «Führung» hat im Deutschen historisch bedingt sehr ungute Assoziationen, weshalb man modern lieber von «Leadership» spricht.
Moderne Führung = richtige Führung?
Um es als erstes vorauszuschicken: Wie bei so vielen Angelegenheiten, die mit Menschen zu tun haben, gibt es auch bei der Führung kein «richtig» oder «falsch». Der Grund dafür ist, dass sich moderne Führung in einem komplexen Umfeld abspielt, wo viele Faktoren einen Einfluss haben: Was ist es für eine Organisation, in der ich mich befinde (ein Grosskonzern, ein Startup, ein Netzwerk)? Was sind es für Menschen, die ich führe? Was ist die Aufgabe der Menschen, die ich führe? Der Rahmen für jede Führungskraft ist also das Umfeld. Es ist deshalb wichtig, Antwort auf die folgenden Fragen zu finden:
- Was erwartet mein/e eigene/r Vorgesetzte/r von mir in meiner Funktion?
- Was erwarten meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von mir?
- Gibt es in der Organisation ausserdem explizite oder implizite Regeln, an die ich mich als Führungskraft halten muss?
- Wie möchte ich führen? Was ist mein persönlicher Stil?
Die ersten beiden Fragen lassen sich nur im Gespräch klären. Es hilft, wenn diese Fragen nicht nur bei Stellenantritt gestellt werden, sondern periodisch überprüfen werden. Die vierte Frage ist Gegenstand der Selbstreflexion und kann zum Beispiel gut in einem Individual Coaching reflektiert werden (sie ist in ihrem Umfang auch durchaus einen eigenen Blogbeitrag wert).
Implizite und explizite Regeln für Führungskräfte
Die dritte Frage ist etwas schwieriger. Oft stellen Führungskräfte fest, dass es gar nicht so viele explizite Regeln für sie gibt, wie sie denken. Häufig sind neben Organigramm und Code-of-Conduct Vorschriften für die Anzahl Mitarbeitergespräche pro Jahr, sowie die Höhe, die Verwendung und das Controlling des Budgets. Schwieriger ist es mit den impliziten Regeln. Diese erkennt man meist am besten, wenn man sich Regelbrüche vorstellt: Was wäre, wenn ich…
- mich am Mittagstisch zu anderen Führungskräften/MitarbeiterInnen setzen würde?
- ein Einzelbüro beantragen würde?
- den Statusreport in der Abteilungssitzung von einem Mitarbeiter präsentieren liesse?
- mit dem Fahrrad oder mit Krawatte zur Arbeit käme?
- jeweils als letzte ins Büro käme? Was, wenn ich jeden Tag um 16 Uhr gehen würde?
- mein ganzes Team nach Wunsch Homeoffice machen lassen würde?
Implizite Regeln dürfen selbstverständlich bewusst gebrochen werden, denn als Vorgesetzte/r gestaltet man selber die Organisationskultur ja auch mit. Wie die Organisation darauf reagiert, ist dann wieder ein anderes Thema. Auch implizite Regeln bestimmen also, wie der Rahmen für die eigene Führung aussieht.
Moderne Führung ohne Autorität: Geht das?
Den Rahmen haben wir somit festgelegt. Vielleicht zeigt sich nun bereits, wieviel Autorität von Ihnen als Führungskraft verlangt wird. Exemplarisch können das folgende Beispiele zeigen:
- Die MitarbeiterInnen möchten die Ferienplanung im Team lieber nicht selber machen. Für sie ist es einfacher, wenn Sie bestimmen, wer wann gehen darf.
Akzeptieren Sie das, oder ermutigen und befähigen Sie das Team, die daraus entstehenden Konflikte konstruktiv miteinander auszutragen? Wie kommunizieren Sie das genau? Lassen Sie durchblicken, dass Sie die Sorgen der Mitarbeitenden ernst nehmen oder dass sie diese Ansicht für sehr altmodisch halten? Wie gross ist die Zumutung für das Team, wenn Sie das wirklich so durchziehen? Was bedeutet es für Sie, wenn Sie die Entscheidung tatsächlich übernehmen? Wie reagiert die Organisation, wenn bekannt wird, wie es in Ihrem Team gehandhabt wird?
- In Ihrem Rollenbeschrieb steht, dass Sie für die Auslastung der MitarbeiterInnen in Ihrem Team verantwortlich sind. Eine Mitarbeiterin verlangt von Ihnen, dass Sie ihr neue Aufgaben geben. Sie habe momentan nichts zu tun.
Suchen Sie im Backlog schnell nach einer Aufgabe, die sonst niemand machen wollte? Weisen Sie sie darauf hin, dass sie besser die erledigten Aufgaben noch einmal auf Qualität überprüfen sollte? Fragen Sie die Mitarbeiterin, was sie selber gerne machen möchte? Lassen Sie das Team entscheiden, wo die Mitarbeiterin helfen kann? Suchen Sie gemeinsam nach Gründen, warum diese Situation überhaupt aufgetreten ist? Rechnen Sie nach, ob die MitarbeiterIn im Rahmen der momentanen Auftragssituation überhaupt noch rentabel ist?
Sie sehen, selbst wenn der Rahmen vorgegeben ist, gibt es situationsabhängig immer mehrere Möglichkeiten, wie Sie handeln könnten. Das ist der Spielraum Ihres eigenen Führungsverständnisses!
Als Führungskraft KollegIn bleiben?
Heisst das nun, dass ich in gewisser Hinsicht auch «Kollege» oder «Kollegin» bleiben kann, wenn ich eine Führungsposition übernehme? Da es sich an der Spitze einsam anfühlen kann, ist dies etwas, was sich viele gerade junge Führungskräfte wünschen. Folgende Gedanken dazu sind möglicherweise hilfreich:
- Aus dem oben Gesagten folgt, dass es wesentlich vom Rahmen abhängt. Nicht in jedem Umfeld ist es nötig, dass man als Führungskraft dem Team vorschreibt, was jede und jeder zu tun hat. Selbst wenn man die Endverantwortung alleine trägt, kann man viele Entscheide gemeinsam mit dem Team treffen oder sogar ans Team delegieren. Aber: Der Rahmen ist nicht unbegrenzt dehnbar! Wunsch und Wirklichkeit können hier auseinanderklaffen und für innere und äussere Konflikte sorgen.
- Das gilt auch für die Offenheit bezüglich persönlicher Angelegenheiten, Unsicherheit und negativen Emotionen. Zeigt man sich als Führungskraft verletzbar und menschlich, schafft man im Team psychological safety für eigene Äusserungen. Wird allgemein viel über Privates gesprochen, erwarten MitarbeiterInnen dann andererseits auch zu Recht, dass ihre persönliche Situation und Befindlichkeit bei Entscheidungen mitberücksichtigt wird.
- Freundschaften der Führungskraft mit einzelnen Untergebenen sind vor allem dann problematisch, wenn man sich in einem hierarchischen Umfeld befindet. Wenn Informationen und Macht sehr ungleich verteilt sind, sorgt der Verdacht auf Begünstigung schnell für Misstimmung im Team. In einem Umfeld, wo die Macht gleichmässiger verteilt ist (z.B. rollenbasierte Führung, alle sind immer über alles informiert) kann dies hingegen durchaus funktionieren. Besonders im ersten Fall sollten Transparenz und konsequente, sichtbare Gleichbehandlung erste Priorität haben.
Immer im eigenen Rahmen bleiben!
Wichtig ist, dass man dabei authentisch bleibt. Wer als Kollege immer andere um Rat gefragt hat, wirkt glaubwürdiger, wenn er dies auch als Führungskraft beibehält. Wer als Kollegin durch klare Kommunikation aufgefallen ist, wirkt unglaubwürdig, wenn sie als Führungskraft plötzlich nur noch verwässerte Aussagen macht. Wie immer gibt es für alles einen Mittelweg. Freundlich und nahbar bleiben, die Bedürfnisse der Mitarbeitenden abholen und die eigenen Erwartungen klar und transparent kommunizieren funktioniert in den meisten Umfeldern gut. Als Führungskraft gibt man nun einmal den Rahmen für die Mitarbeiter vor. Und wie wir oben gesehen haben, ist es für alle Beteiligten entlastend, wenn dieser Rahmen transparent gemacht und durchgesetzt wird.