Organisationsmodelle: Komplexe Herausforderungen verstehen

Organisationsmodelle dienen als Landkarte

Organisationsentwicklung ist ein komplexes Handwerk. Mit «komplex» ist gemeint, dass vielfältige äussere und interne Einflussfaktoren darauf einwirken und in bestimmten Kombinationen völlig unvorhersehbare Effekte haben können (vgl. die «komplexe Domäne» des Cynefin-Frameworks). Will man in dieser komplexen Domäne sinnvoll arbeiten, kann man keine detaillierte «Gebrauchsanweisung» oder «Best Practices» benutzen. Es ist jedoch hilfreich, Organisationsmodelle als Orientierung zu nutzen – als eine Art «Landkarte», wie dies z.B. Julia Andersch und Oliver Martin benennen.

Dabei reduzieren wir Komplexität – wir müssen also im Auge behalten, dass die Landkarte nicht die Landschaft ist. Wenn wir beim Wandern feststellen, dass die Karte nicht mehr aktuell ist, dann müssen wir diese jederzeit aktualisieren.

Die Trigon-Organisationsmodelle: Ganzheitliche Sicht und hohe Flughöhe

Fritz Glasl1Es handelt sich um denselben Fritz Glasl, der in jüngerer Zeit zahlreiche bekannte Bücher zu Konflikten und Mediation geschrieben hat hat 1985 die Trigon-Organisationsentwicklungsberatung gegründet. Auf ihn gehen zwei hilfreiche Organisationsmodelle zurück: Das Modell der sieben Wesenselemente und das Modell der Entwicklungsphasen. Beide Modelle kombiniert bieten eine ganzheitliche Sicht auf die Organisation sowohl in ihrer aktuellen Ausgestaltung wie in ihrer zeitlichen Dimension.

Modell der Wesenselemente: Blick auf die Organisation aus 7 Perspektiven

Das Modell der sieben Wesenselemente bietet sieben verschiedene, sich ergänzende Perspektiven auf die Organisation:

7 Wesenselemente nach Trigon
  1. Identität: Sinn und Zweck, Philosophie und Image
  2. Strategie: Langfristige strategische Programme, Leitlinien, Konzepte
  3. Funktionen: Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortung
  4. Menschen, Gruppen: Knowhow, Macht, Konflikte, Führungsstile, Haltungen
  5. Struktur: Organigramm, formales Layout
  6. Prozesse: Wertschöpfende und unterstützende Prozesse
  7. Physische Mittel: Maschinen, Mobiliar, Gebäude, Eigen- und Fremdmittel

Alle diese Perspektiven hängen miteinander zusammen. An jedem Element kann angesetzt werden, um eine Veränderung in Gang zu bringen. Dies zieht jedoch meist eine Kaskade nach sich, da alle anderen Elemente auch beeinflusst werden.

Ein Beispiel: Verpflichten wir uns in der Strategie zur Digitalisierung unseres Geschäftsmodells, so ändern sich nicht nur unsere Prozesse von analog auf digital. Es braucht sofort auch entsprechende Anpassungen in den physischen Mitteln (weniger Büro- und Archivräume, mehr IT-Infrastruktur). Somit verändern sich aber auch die Funktionen (andere Jobprofile) und die Struktur (neue Teams, andere Zuordnung). Schliesslich erhalten diejenigen Einheiten und Individuen mehr Macht im Unternehmen, welche digitales Knowhow besitzen (Menschen, Gruppen).

Und wo ist die Organisationskultur? Sie zeigt sich im Zusammenspiel aller Elemente.

Modell der Entwicklungsphasen: Steigende Komplexität meistern

Organisationen haben jedoch auch eine zeitliche Dimension. Sie werden gegründet und wachsen, woraus sich eine Steigerung der zu meisternden Komplexität ergibt.

Organisationsmodelle der Entwicklungsphasen

Die folgenden Phasen sind für die Skalierung typisch:

  • Am Anfang steht die Pionierphase mit viel Improvisation, wenig Formalismus und vor allem persönlichen Beziehungen.
  • Dann folgt eine Differenzierungsphase: die wachsende Organisation braucht definierte Prozesse, ausdifferenzierte Funktionen und eine Identität, welche von den Gründungspersonen unabhängig leben kann.
  • Dann folgt die Integrationsphase: die Organisation wächst weiter und muss sich darum bemühen, dass die Prozesse und Bürokratie nicht ein Eigenleben entwickelt, dass sie von ihrer eigentlichen Wertschöpfung entfernt.
  • und schliesslich die Assoziationsphase, wenn Organisationen sich vermehrt an Netzwerken im Aussen orientieren, so dass eine Art «Ökosystem» mit flexibleren Einheiten entsteht.

In den Phasenübergängen kann man von “überreifen» Phasen sprechen – das sind die Momente, wo sich Organisationen in eine neue Phase entwickeln sollten, aber oft mehr desselben machen, was sie bisher weitergebracht hat: zuviel Spontaneität/Improvisation in der Pionierphase, zuviel Bürokratie in der Differenzierungsphase, zuviel Nabelschau in der Integrationsphase.

Achtung: Es ist nicht so, dass die vierte Phase per se immer besser ist als die erste2 Hier unterscheidet sich das Modell von anderen Entwicklungsmodellen wie z.B. demjenigen von Frédéric Laloux in «Reinventing Organizations».. Vielmehr geht es darum, ob die Phase noch zur Grösse der Organisation passt, bzw. zur Komplexität, die sie bewältigen muss. Ein Handwerksbetrieb, der seit Jahren mit fünf Mitarbeitenden den regionalen Bedarf nach Parkettbelägen abdeckt, kann problemlos und wirtschaftlich erfolgreich 30 Jahre in der Pionierphase bleiben. Bei einem Technologie-Startup, das als Spin-off der Hochschule beginnt und nach 3 Jahren mit bereits über 100 Mitarbeitern Märkte in Asien und Übersee erschliesst, ist dies kaum möglich.

Organisationsmodelle kombinieren

Bei jeder Herausforderung ist es nützlich, sich zu überlegen, welche der Elemente hauptsächlich betroffen sind. Die Kombination der beiden Modelle kann besonders interessante Einsichten liefern:

  • Sind die Kernprozesse auf Wertschöpfung ausgerichtet (Integration), aber in den Supportprozessen und den Funktionen herrscht die Bürokratie (Über-Differenzierung)?
  • Ist die Organisation bezüglich Identität in der Pionierphase (der Gründer verkörpert quasi die Firma), bezüglich Strukturen, Prozessen, physischen Mitteln aber sehr differenziert, führt die früher oder später zu Spannungen.

So kann ein Organisationsentwicklungsprozess designed werden, der spezifisch zu den angestrebten Zielen passt und da ansetzt, wo sich die Organisation gerade befindet.

  • 1
    Es handelt sich um denselben Fritz Glasl, der in jüngerer Zeit zahlreiche bekannte Bücher zu Konflikten und Mediation geschrieben hat
  • 2
    Hier unterscheidet sich das Modell von anderen Entwicklungsmodellen wie z.B. demjenigen von Frédéric Laloux in «Reinventing Organizations».