Langweilige Generalversammlung? 5 Ideen zur Entstaubung

Generalversammlung

Kürzlich war ich an der Generalversammlung eines Vereins. Diese Veranstaltungen sind für mich – als Person, die sich häufig mit modernen Sitzungsformaten beschäftigt und Firmen diese näherbringt – immer wie eine Zeitmaschine. Die meisten dieser Veranstaltung sind, entschuldigung – äusserst langweilig. Es kommt dabei nicht einmal darauf an, ob sie remote oder vor Ort abgehalten werden. In meiner Erfahrung ist deshalb auch der Enthusiasmus dafür generell tief, so dass sich die meisten Vereinsmitglieder – wenn immer möglich – abmelden.

Ginge das nicht auch anders? Könnten wir die Generalversammlung sogar dafür nutzen, mehr Commitment und Inspiration unter den Vereinsmitgliedern zu entfachen? Warum eigentlich nicht?

Ist das rechtlich überhaupt erlaubt?

Möchte man diese Versammlungen modernisieren, kommt oft das Totschlagargument: Wir müssen das aus rechtlichen Gründen so machen. Dem bin ich als erstes einmal nachgegangen. Im Schweizerischen Zivilgesetzbuch Art. 60ff. sind die Vorschriften zu Vereinen festgelegt. Zur Versammlung gibt es dabei die folgenden Aussagen im Artikel 64:

Organisation der Versammlung:

  • Der Vorstand beruft die Mitgliederversammlung ein, oder aber ein Fünftel der Mitglieder kann eine Versammlung einberufen.

Inhalt:

  • Die Versammlung entscheidet über Aufnahme und Ausschluss von Mitgliedern, wählt den Vorstand und entscheidet in allen Angelegenheiten, die nicht bereits anders geregelt sind.
  • Über Gegenstände, die nicht gehörig angekündigt sind, darf ein Beschluss nur dann gefasst werden, wenn die Statuten es ausdrücklich gestatten.

Methoden:

  • Die Vereinsbeschlüsse werden mit Mehrheit der anwesenden Mitglieder gefasst, alle Mitglieder haben das gleiche Stimmrecht.

Natürlich gibt es noch weitere Bestimmungen im Zusammenhang mit Vereinsrecht, aber keine von diesen bezieht sich auf den Ablauf von Sitzungen. Ein Verein kann selbstverständlich langweilige Sitzungsabläufe in den Statuten festlegen, ist dazu aber nicht verpflichtet. Es gibt hier also entgegen der landläufigen Meinung tatsächlich Spielraum.

Gründe für die Generalversammlung: rechtlich, sozial – und vieles mehr!

In vielen Vereinen wird die Mitgliederversammlung primär aus rechtlichen Gründen abgehalten. Spricht man mit ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern, sind diese dennoch oft enttäuscht über die vielen Absenzen. Man deutet das als mangelnde Wertschätzung.

Andererseits ist die Generalversammlung oft auch ein sozialer Event. Tatsächlich organisieren viele Vereine anschliessend an die Versammlung ein gemeinsames Essen oder zumindest einen Umtrunk. Manchen Mitgliedern reicht dies als Motivation, den langweiligen «rechtlichen» Teil davor zu absolvieren. Dennoch: Eigentlich könnte man die Mitgliederversammlung noch für viele andere Dinge nutzen, als Wahlen, Jahresrechnung und Mitgliederveränderungen.

  • Gemeinsames Erinnern an den Vereinszweck, «Weiterdenken» was damit alles gemeint ist und was der Zweck des Vereins gerade jetzt bzw. für das nächste Intervall auch noch bedeuten könnte
  • Gemeinsames Planen des nächsten Intervalls, Ideen generieren, direkt Arbeitsgruppen bilden
  • Gemeinsame Retrospektive: Was haben wir gut gemacht, was möchten wir weiter behalten, was sollten wir ändern?

Ansätze zu diesen Ideen sind selbstverständlich in vielen Vereinsversammlungen sichtbar. Meist gibt es einen Jahresrückblick, Berichte von Arbeitsgruppen, einen Ausblick ins nächste Jahr. All dies wird aber fast immer vom Vorstand von vorne präsentiert, die Mitglieder hören passiv zu und stellen höchstens ab und zu Fragen, die für den Rest der Versammlung mehr oder weniger interessant sind. Gleichzeitig klagen viele Vereine über einen Mangel von Committment und Engagement – bei der Besetzung von Vorstandsrollen haben viele Mühe, einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zu finden.

5 Ideen zum Ausprobieren

Warum also nicht einmal eine der folgenden Ideen ausprobieren?

  • Vor oder während der GV eine anonyme Commitment-Abfrage machen, analog zum «ESVP-Tool» von Esther Derby und Diana Larsen. Die Resultate wären möglicherweise für den ganzen Verein interessant: Bist du hier, weil du :
    • a) musst (Prisoner, z.B. Aktuarin),
    • b) weil du dich wirklich engagieren willst (Explorer),
    • c) wegen dem Essen/sozialen Element (Shopper)
    • d) weil du sonst etwas anderes machen müsstest (Vacationer, z.B. Kinder hüten)?
  • Ein kreatives Element einsetzen, bei dem gemeinsam neue Ideen für den Verein generiert werden: Mit dem 1-2-4-all-Element von Liberating Structures wäre so etwas in weniger als 20 Minuten möglich – und es würde sämtliche Beteiligte involvieren.
  • Um den Puls zu fühlen, kurze Umfragen zu machen oder Ideen zu generieren, aber auch für gute Wünsche an ausscheidende Vorstandsmitglieder könnte man das Tool Mentimeter nutzen.
  • Eine gemeinsame Retrospektive abhalten (statt nur «dem Vorstand Decharge erteilen»): Was ist uns gut gelungen? Was möchten wir ausprobieren? Wo müssten wir besser werden? und gleich Massnahmen zur Umsetzung im nächsten Intervall verabschieden. Dies kann dann sogar in eine spontane gemeinsame Planung von kleineren Aktivitäten münden.
  • Moderne Entscheidungsverfahren einsetzen: Auch wenn gesetzlich vorgeschrieben ist, dass eine Entscheidung per Mehrheitsentscheid gefallen ist: Trotzdem könnte bei wichtigen Geschäften vorher das Konsentverfahren oder eine Widerstandsmessung gemacht werden. So erhält man in der Regel mehr Committment. Das «Mehrheitsverfahren» am Schluss über die gemeinsam gefundene beste Lösung ist dann nur noch Formsache.

Mit den richtigen Techniken muss eine solche «engagierende» Mitgliederversammlung keineswegs länger dauern als eine traditionelle. Mit Sicherheit wird die Zeit der Anwesenden allerdings sinnvoller genutzt. Es wäre einen Versuch wert, ob sich dadurch das Committment aller TeilnehmerInnen steigern lässt und mittelfristig auch die Belastung des Vorstandes abnehmen würde.